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Archive for 8. November 2008

So fern und doch so nah

Heute habe ich eine Kerze aufgestellt.

Vor einem Hauseingang.

Wenige Gedanken gehen durch meinen Kopf, ich versuche sie zu unterdrücken,

aber einer fragte mich; warum stellst du diese Kerze auf ?

Ich kann es nicht erklären, aber ich hatte das Gefühl, ich wollte es einfach.

Und da hocke ich in diesem Hauseingangsflur, zünde eine Kerze an und stell einen kleinen Weihnachtsstern hinzu.

Der Flur wird schwach durch das Licht aus dem Schaufenster des angrenzenden Geschäfts beleuchtet.

Hinter der Haustüre ist es dunkel und still.

Die Kerze flackert und beleuchtet den kleinen Weihnachtsstern, ich steh auf und mein Blick fällt auf die Briefkästen.

Jeder mit einem Namensschild versehen. Ich suche nach dem Namensschild.

Ein ganz normales Schild, auf einem ganz normalen Briefkasten, neben fünf anderen normalen Briefkästen.

Da ist das Schild,

ein kleines weißes Schild mit fünf Buchstaben,

jeder Buchstabe durch ein + verbunden

und darunter der Nachname.

Schön zusammengefügt, wir sind zusammen, wir sind eine Familie.

Bei zwei Buchstaben, weiß ich wo derjenige ist, für den der Buchstabe steht.

Bei den anderen weiß ich es leider nicht und dies macht mich sehr traurig.

Aus dem Geschäft dringt Gelächter  heraus. Es wird eine Geschäftseröffnung gefeiert.

Ich dreh mich zu dem Gelächter, schaue durch die Schaufenster auf die feiernden Menschen.

Sie lachen, prosten sich zu und freuen sich.

Warum auch nicht, sie können nichts dafür, sie wissen es wahrscheinlich gar nicht.

Woher sollten sie wissen, das die Welt, dieser fünf Buchstaben, gestern für immer grausam verändert wurde.

Ich stehe in einem Hausflur, vor einer kleinen Kerze mit Weihnachtsstern.

Ich habe keine Gefühle der Trauer, aber es tut mir sehr sehr leid.

Ich stehe hier in dem Hausflur neben einer Geschäftseröffnung, habe eine Kerze aufgestellt und frage mich warum.

Nicht, warum ist DAS passiert.

Es gibt unzählige warums, wiesos und hätte..

es wäre unsinnig, diese zu hinterfragen, eine Antwort darauf zu bekommen, denn für Außenstehende wären alle Erklärungen unverständlich, nicht mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar.

Ich bin auch eine Außenstehende, ich war Dir nicht nah, trotzdem ich kann einiges nachvollziehen und verstehen.

Ich kannte Dich. Wir haben zusammen gearbeitet.

Und aus einiger Entfernung konnte ich Deinen Weg mitverfolgen.

Er war mir zum Teil unverständlich, aber egal, wir waren uns ja auch nicht nah.

In den letzten 2-3 Jahren hab ich Dich hin und wieder gesehen, man hat sich kurz gegrüßt, ein paar Worte gewechselt, hab die Kinder gesehen.

“ Die Kleine kommt ja bald in die Schule und der Kurze in den Kindergarten.  Wie die Zeit vergeht?!“

Jetzt stehe ich in Deinem Hausflur, vor einer Kerze.

Du warst mir nicht so nah, dadurch ist es erträglicher.

Die Gedanken, nein schlimmer, die Vorstellungen, was gestern hier passiert ist,

die schütteln mich, reißen alte, längst verdrängte, Erinnerungen in mir hoch.

Gestern, als ich es erfahren habe, war ich mir sicher, dass Du Dich gewehrt hast

und heute, wo ich in Deinem Flur stehe,

weiß ich, dass auch mindestens ein Kind bei Dir war.

Ich will mir nicht vorstellen, was es gesehen hat.

Aber jetzt weiß ich auch, dass es DAS gesehen hat,

ich weiß, dass Du Dich gewehrt haben mußt.

Ich weiß, dass Du noch die Kraft hattest, die Polizei anzurufen.

Ich weiß, dass Du gestern abend im Krankenhaus verstorben bist.

Ich weiß nicht, warum ich das Bedürfnis hatte, bei Dir im Hausflur ein Licht aufzustellen.

Aber ich stehe hier, vor einer kleinen Kerze, neben mir feiern Leute.

Woher sollten sie es wissen.

Alles ist so wie immer.

Nichts deutet darauf hin, dass Du gestern um Dein Leben gekämpft hast und eines Deiner Kinder es nicht verstehen konnte, warum Papa das macht.

Alles ist so wie immer, der Flur, der Verkehr, die Buchstaben auf den Briefkästen, nur eines ist anders:

Du bist mir auf einmal sehr nah!

Auch ich werde gleich wieder nach hause gehen.

Dort wird alles so sein, wie immer.

Und ich bin froh und dankbar darüber, dass es so ist.

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